Christian Ude

Adieu Gisela

Von am 7. August 2014

Wenn ich als Abiturient in den Englischen Garten radelte, kam ich in der Occamstraße an einer damals schon legendären Institution vorbei: Dem Lokal der „Schwabinger Gisela“, der singenden Wirtin, die mit rauchiger Barfrauenstimme frivole Lieder über amouröse Abenteuer vortrug und das sentimentale Lied „Schwabinger Laterne, Großstadt-Illusion“ zu ihrem Haussong machte. Sie trug dabei, wie wir von Zeitungsfotos wussten, einen aufregend engen Rollkragenpulli und lehnte sich lasziv an die beschwipst-krumme Bronze- Laterne, die ihr Markenzeichen wurde. Ganze Schulklassen konnten mehrere Strophen ihres „unzüchtigen“ Songs „Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen“ auswendig und dichteten anzügliche Verse hinzu.

Persönlich kennengelernt habe ich sie damals aber nicht, denn wir dachten, wo der russische Astronaut Juri Gagarin und US-Senator Edward Kennedy einkehren, da kann die örtliche Jugend sich gewiss keinen schönen Abend leisten. Leider haben wir erst später erfahren, dass die Gisela Habenichtse bereitwillig anschreiben ließ oder gleich selber zu einer Gulaschsuppe und einem Bier eingeladen hat.

Schon bald nach den Olympischen Spielen gab es ein jähes Ende der Schwabinger Institution, die so viel frische Luft in die muffigen 50er und 60er Jahre gebracht hatte, aber 1999 gab es ein Comeback, als ihr immer noch großer Freundeskreis sie zu ihrem 70. Geburtstag hochleben ließ. In diesem Jahr überreichte sie meiner Frau und mir ihre persönliche Auszeichnung „Schwabinger Laterne“ und sang – zum letzten Mal öffentlich – ihr Lieblingslied. Hingehaucht und anrührend.

Am kommenden Samstag werden wir sie auf dem Nordfriedhof zu Grabe tragen. Da werden wieder manchem die Tränen kommen. Adieu Gisela.

Kolumne: Der Rote Radler
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