Christian Ude

Besuch bei Tante Emma

Von am 16. Mai 2015

Selbst aus dem spröden Wirtschaftsleben ereilen uns manchmal Nachrichten, die uns aus dem Sattel hauen und das Herz höher schlagen lassen. Der traurige Alltag aller Innenstädte und Fußgängerzonen besteht ja darin, dass ein Traditionsgeschäft nach dem anderen verschwindet und sich die Filialisten immer breiter machen, bis sich alle Einkaufsstraßen dieser Welt ähneln wie ein Ei dem anderen. Und dann diese Nachricht: In München ist es umgekehrt! Das Altmünchner Kaufhaus Beck am Rathauseck, seit seiner Gründung auch ein bedeutsamer Mäzen in dieser Stadt, hat den Filialisten Wormland gekauft (und ist nicht seinerseits geschluckt worden). Örtliche Vielfalt statt überregionaler Eintönigkeit!

Was ist eigentlich aus dem Traditionsgeschäft meiner Kindheit geworden? Dem geliebten Laden, in dem ich bei jedem Einkauf ein Wurstradl oder ein Gutti bekam? Ein Handy-Shop! Ein Kaffee-to-go? Oder ständig wechselnde Discounter? Nichts von alledem. Immer noch ein Feinkostladen, in dem man Obst und Gemüse, Brot, Wurst und Käse, Saft, Bier oder Mineralwasser kaufen kann, neuerdings auch guten Wein. Ein Tante-Emma-Laden. Allerdings heißt Emma hier Erna. Und Erna Scherb erzählt mir, dass sie täglich 14 Stunden arbeitet, aber sich behaupten kann – weil der Vermieter ein Einsehen hat und nicht wie so viele in der Umgebung das Letzte herausquetschen will, und weil das Personal der benachbarten Praxen, Kanzleien und Agenturen in der Mittagspause auf einen Sprung hereinschaut. Beim nachbarschaftlichen Tratsch kann man sogar Kaffee trinken (das hat’s früher nicht gegeben). Ich mag es einfach, wenn die Altstadt und die Münchner Viertel ihren Charakter behalten – auch im Einzelhandel.

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