Christian Ude

Internationale Deutsch-türkische Dialog-Konferenz in Maltepe: Brücken bauen, nicht Gräben vertiefen!

Von am 26. Oktober 2015

Vom 23. bis 25. Oktober 2015 fand in der Istanbuler Kommune Maltepe die 2. Internationale deutsch-türkische Dialog-Konferenz statt, zu der Bürgermeister Ali Kilic eingeladen hatte. Die erste Konferenz dieser Art hatte Kilic bereits im März diesen Jahres einberufen, um Irritationen und Störungen im deutsch-türkischen sowie christlich-islamischen Verhältnis nach den rechtsradikalen Demonstrationen in Deutschland (Pegida) und den islamistischen Anschlägen in Paris (Charlie Hebdo) entgegen zu wirken und die deutsch-türkische Freundschaft zu fördern.

Auf der Dialog-Konferenz waren über 30 Städte vertreten, die eine deutsch-türkische Städtepartnerschaft pflegen oder gemeinsame Projekte betreiben, darunter Bremen, Celle, Coburg, Darmstadt, Düsseldorf, Erlangen, Frankfurt, Fürth, Köln, München, Ulm und Worms auf der deutschen Seite und viele Stadtteile aus Ankara und Istanbul sowie die Städte Batman, Diyarbakir, Edremit, Eregli, Gaziantep, Mardin, Nilüfer und Yalova aus der Türkei.

Der internationale Charakter der Konferenz wurde durch Delegationen aus Angola, China, Iran, Palästina und Kenya sowie Beobachter aus europäischen Ländern unterstrichen.

Zu Beginn der Konferenz betonte ihr Koordinator, der frühere Münchner Oberbürgermeister und deutsche Städtetagspräsident Christian Ude, dass bei den Bürgermeistern der türkischen Teilnehmerstädte alle vier Parlamentsparteien AKP, CHP, HDP und MHP vertreten sind und bei den deutschen Teilnehmern Repräsentanten von SPD und CDU sowie von den Grünen und der FDP.

Das internationale Interesse an dieser Konferenz sei bereits zu Beginn der Woche deutlich geworden, als Botschafter und Diplomaten von 20 Ländern aus fünf Kontinenten an der Präsentation dieser Konferenz durch Bürgermeister Ali Kilic teilnahmen.

Am 24. Oktober befassten sich die Teilnehmer in drei Arbeitsgruppen

  • mit den Chancen von Städtepartnerschaften
  • mit dem Interreligiösen Dialog
  • mit dem Flüchtlingsthema.

Am Abend wurde bei einer gemeinsamen Schifffahrt auf dem Bosporus „buchstäblich zwischen Europa und Asien“ (Bürgermeister Ali Kilic) der Kooperationsvertrag zwischen Maltepe und Hamburg-Altona geschlossen, der einen Austausch von Verwaltungskräften sowie einen Austausch von Architektur- und Planungsbüros sowie eine konkrete Zusammenarbeit im Gesundheitswesen vorsieht. Der Festivalveranstalter „Altonale“ plant darüber hinaus mit Maltepe einen Kulturaustausch.

Zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppen:

I. Städtepartnerschaften

  1. Nicht nur die Rathäuser, sondern auch weitere Institutionen sollen einbezogen werden, beispielsweise die Anwaltskammern, die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern, die Universitäten, Fachhochschulen, einzelne Gymnasien und Schulen, Wirtschaftsverbände, Tourismus-Organisationen, Gewerkschaften.
  2. Gerade bei deutsch-türkischen Partnerschaften ist es wichtig, die Migranten einzubeziehen, was am besten über ihre Kulturvereine, ihre Moschee-Vereine, Sportvereine, Arbeitnehmervertretungen etc. gelingt.
  3. Wichtig ist, dass die Zivilgesellschaft oder die Migranten als besonders interessierte Gruppe bei der Ausgestaltung der Partnerschaft mitbestimmen und mitwirken können. Dafür empfiehlt sich die Gründung eines Partnerschaftsvereins. Dies kann auch ein Dachverband bereits bestehender Kultur- und Sportvereine etc. sowie bestehender Institutionen sein.
  4. Von zentraler Bedeutung ist, dass die Partnerschaft nicht nur bereits bestehende Aktivitäten widerspiegelt, sondern auch neue anregt und besonders die Jugend und die Frauen anspricht, die in den herkömmlichen Strukturen zu wenig Berücksichtigung finden.
  5. Für die Jugend können Jugendcamps eingerichtet werden, wie sie Gaziantep geschildert hat, sowie örtliche Ereignisse zu nationalen Festen im Herkunftsland veranstaltet oderJugendparks geschaffen werden.
  6. Dem Schüleraustausch, der aus finanziellen Gründen schnell an finanzielle Grenzen stößt, können Dank der neuen Medien völlig neue Formen hinzugefügt werden: zum Beispiel Partnerschaften zwischen Schulen oder einzelnen Klassen oder Lerngruppen, die durch Austausch von E-Mails, Fotos und Videos im Netz gepflegt werden. Die Schulbehörden müssten nur den Erstkontakt herstellen.
    Ähnliches berichtete Köln sogar vom Sport: Austragung eines Schachwettbewerbs im Netz!
  7. Neue Wege auch beim Kulturaustausch: nicht nur Einladung von Musikern zu Einzelkonzerten oder von Malern, Bildhauern, Fotografen etc. zu Einzelausstellungen, sondern von Musikern zu einem gemeinsamen Workshop oder Festival. München lädt freie Gruppen der Theaterszene zu einem Festival ein. Andere Städte bieten Wohnraum für Stipendiaten an, die einige Zeit (auch mit Familie!) in der Schwesterstadt arbeiten und auftreten können.
  8. Frauenprojekte und besondere Veranstaltungsformate sollten gezielt Frauen ansprechen, die bislang wenig am öffentlichen Leben partizipieren. Hier wurden auch Weiterbildungschancen angemahnt.
  9. In Zukunft sollten die Volkshochschulen stärker einbezogen oder entsprechende Einrichtungen gegründet werden. Sprachkurse nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene und Senioren! Kurse über das Migrantenleben vor Ort und über den Interreligiösen Dialog.
  10. EU-Projekte, über die auch finanzielle Mittel beschafft werden können, sind nur von Partnerstädten gemeinsam (in der Regel zu dritt) in Anspruch zu nehmen. Als Beispiele wurden genannt: Bildungsprojekte (Erasmus plus) und Erstellung von Radwegeplänen.
  11. Als besondere Zielgruppe wurden ältere Migranten genannt, die ins Herkunftsland zurückgekehrt sind. Hier bieten sich Besuchsprogramme „in der zweiten Heimat“ an. (Gaziantep)
  12. Besondere Aufgaben stellen sich, wenn eine Partnerstadt plötzlich auf Hilfe angewiesen ist. Dies kann durch Naturkatastrophen entstehen (Erdbeben, Flut, Waldbrand, nukleare Katastrophe), wo natürlich zunächst die großen Hilfsorganisationen gefordert sind, aber Partnerstädte nachhaltige Hilfe leisten können.
    Hilfsbedarf kann aber auch durch politische Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung entstehen. Hier können Partnerstädte Position beziehen, Stadtratsbeschlüsse fassen, Öffentlichkeit herstellen und über den Städtetag für internationalen Druck sorgen.

II. Interreligiöser Dialog

Unter der Leitung von Herrn Turgut Yüksel hat sich unsere Arbeitsgruppe auf einen interessanten, interreligiösen Dialog eingelassen, der sich mit der Religion im Allgemeinen und dem damit verbundenen Verständnis von Interreligiösität beschäftigt hat.
Hierbei wurde zum Einen über die Ausnutzung der Religion für verschiedene Zwecke und über mögliche präventive Ansätze gesprochen, die ein konfliktfreies Zusammenleben der Menschen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, möglich machen können.

Es wurde das Schulkonzept aus England vorgestellt, wo bereits seit 40 Jahren ein verpflichtender, religionsübergreifender Schulunterricht ab der Grundschule stattfindet.
Wir waren uns in unserer Arbeitsgruppe einig darüber, dass es wichtig ist, bereits bei den Kinder anzsusetzen,um ihnen zu einem toleranten und interkulturell offenem Leben zu verhelfen.

Jedoch spielt für uns auch die politische Führung eines Landes eine wichtige Rolle. Denn die Erziehung unserer Kinder stößt an ihre Grenzen, wenn gegenseitige Akzeptanz und Toleranz der Menschen politisch nicht gewollt ist.
Schlussendlich ist es schwierig, eine gemeinsame Grundhaltung zu erarbeiten,wenn man es nicht schafft, sich auf die Gemeinsamkeiten der Religionen zu konzentrieren,statt immer wieder die Religionsunterschiede zu benennen.
Hierbei spielen interkulturelle Kompetenzen, die Selbstreflektion und die Bildung eine entscheidende Rolle, um Toleranz für ein interreligiöses und interkulturelles Leben zu schaffen.

III. Flüchtlinge

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen hat sich die Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ unter der Leitung von Mehmet Kilic auf das Flüchtlingsthema konzentriert.

Im Falle der Flüchtlinge lehnen wir negative Sprachausdrücke wie Flüchtlingskatastrophe oder –Überschwemmung ab. Menschen in Not brauchen in erster Linie ein freundliches Gesicht, wie die Bundeskanzlerin eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht hat, keine Zäune und keine Waffengewalt an unseren Grenzen. Demokratisierung, effektive Krisenprävention und Entwicklungshilfe sind notwendig, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Internationale Organisationen müssen bei der Krisenprävention viel früher und viel effektiver eingreifen.

Wir haben Respekt davor, dass die Türkei 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat und die Bundesrepublik Deutschland allein in diesem Jahr fast eine Millionen Flüchtlinge aufnimmt. Hierfür ist aber eine gesamteuropäische Übernahme der Verantwortung notwendig.

Kommunen wie Gaziantep (500 000 Flüchtlinge) oder München (Zehntausende in wenigen Wochen) stehen vor gigantischen Herausforderungen. Flüchtlingsaufnahme und –Unterbringung sind in erster Linie als nationale bzw. europäische Aufgabe anzusehen. Die Kommunen dürfen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen nicht allein gelassen werden.

Neben der finanziellen Unterstützung ist auch die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung notwendig.

Außerdem ist eine klare politische Haltung auf nationaler und europäischer Ebene im Sinne der Menschenrechte erforderlich. Die dauerhafte Integration der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aktiv wahrgenommen werden muss. Flüchtlinge und Kommunen brauchen rechtliche und politische Rahmenbedingungen, die die Teilnahme der Flüchtlinge an Sprachkursen, auf dem Arbeitsmarkt und bei der Bildung erleichtern.

Die Einrichtungen der Erwachsenenbildung können für die Integration von Flüchtlingen viel bewirken, wie die Volkshochschulen in Deutschland täglich unter Beweis stellen.

Die Teilhabegerechtigkeit muss für alle wirtschaftlich benachteiligten Gruppen in der Kommune gewährleistet werden.

Um die obengenannten Herausforderungen in unseren Städten zu bewältigen, werden wir den Austausch von Ideen und Erfahrungen zwischen unseren Gemeinden intensivieren und gemeinsame Strategien entwickeln.

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