Christian Ude

Lesung im neu eröffneten "Heppel und Ettlich", Oktober 2016

Vom Kulturschocker zur Traditionsstätte

Von am 2. November 2016

Ziemlich unkaputtbar: Heppel und Ettlich

Offen gesagt war es schon ein gewaltiger Kulturschock, als kurz vor den Olympischen Spielen von 1972 ausgerechnet im „Jennerwein“, dieser bajuwarisierenden Ethno-Pop-Studenten-Kneipe in der Clemensstraße, plötzlich zwei Berliner Schnauzen hinter dem Tresen zu vernehmen waren. Aber wenn man die Jugend der Welt ruft, muss man halt auch mit exotischen Landsleuten rechnen. Henny und Wolle, so hießen die beiden, waren aber gar nicht durchs olympische Feuer von der Spree an die Isar gelockt worden, sondern schon fünf Jahre früher, 1968, durch Rainer Langhans und den verruchten Ruf seiner Kommune. Wir Schwabinger Jungsozialisten verbrachten die Abende ja eigentlich in spröden Versammlungslokalen und wussten, dass es mit dem Kapitalismus bald ein böses Ende nehmen werde – vorher wollten wir aber noch ganz entspannt ein geselliges Bier trinken, und das taten wir im Jennerwein.

Dort kam es aber zur Spaltung zwischen den „Kollektivisten“, die zurück geblieben sind, und den „Kapitalisten“, die 1976 in die Kaiserstraße 67 zogen und dort mit beängstigendem unternehmerischen Elan ein größeres, umsatzstärkeres (Pfui Teufel) Lokal aufmachten mit eigener Kleinkunstbühne, die man am Wochenende auch als Kinderkino nutzen konnte, was 20 Jahre lang geschah. „Heppel und Etlich“ hieß diese Institution, die bald aus dem Schwabinger Leben nicht mehr wegzudenken war, benannt nach den beiden Berlinern, dem Kunstsammler (Emaille-Schilder!) und Grafiker Henry Heppel und dem Filmemacher Wolfgang („Wolle“) Etltich. Das Duo wagte es sogar, die Fleischpflanzerl auf der Speisetafel als „Bouletten“ anzupreisen.

Das KEKK als Grundstock fürs Kleinkunstprogramm war schon da, aber alle anderen Solisten und Gruppen mussten mit Berliner Überredungskunst in den kleinen Theaterraum hinter der Wirtschaft gelockt werden: Luise Kinseher ebenso wie Siegi Zimmerschied, Frank-Markus Barwasser, Christian Springer, Helmut Ruge und Helmut Schleich oder Fredl Fesl, die Journalisten Christoph Süß und Axel Hacke, die Schauspielerinnen Gisela Schneeberger und Ulrike Kriener, die Ensembles „Kabarest“, „die Saitenspringer“ oder die „Meedels“. Oder die Musiker Peter Kraus (aus der Nachbarschaft) und Werner Schmidbauer. Eine stattliche Ahnengalerie – wird man mal sagen.

Aber das geschah alles im Nebenraum. Vorne, in der Wirtschaft, wurde gegessen und getrunken, geflirtet und angebandelt, debattiert und gestritten, was das Zeug hielt. Dies war das Wohnzimmer der Schwabinger. Zumindest jener, die eher links standen, ohne einen Absacker nicht einschlafen konnten oder ihre alten Beziehungsprobleme gegen neue eintauschen wollten.

Auch der Zeitgeist im Lokal änderte sich: Den endlosen Polit-Diskursen, den Hippie-Zeiten und den Flower- Power-Jahren folgte eine Bhagwan-Phase, die zumindest einige Stammgäste in orange hüllte, eine friedensbewegte Saison und eine Öko-Welle. Alles nicht so beständig wie die Kneipe, die stets das gewohnte Ambiente bot: Die Emaille- Schilder aus Hennys Sammler-Beständen und weitere Flohmarkt-Eroberungen. Nie fand ich heraus, ob es Berliner Nostalgie war oder kapitalistischer Geschäftssinn, dass keine Mark zu viel ins Interieur gesteckt wurde. Wolle hat sich nebenbei als Filmemacher einen Namen gemacht, mit grandiosen Langzeit-Beobachtungen und filmischen Liebes- Erklärungen an Neukölln und Schwabing.

Persönlich war ich weniger der Wirtschaft als dem Nebenraum verbunden: im Juni 1992 durfte ich „zur Eröffnung der Kabarett-Tage“ mein Bühnen-Debüt feiern- und die „Abendzeitung“ urteilte milde: „Mit dem koketten Charme der Selbstironie und einer gehörigen Portion Schadenfreude deckt er die kleinen und die großen Schwächen im politischen Tagesgeschäft auf, die Machtspielchen der Krämerseelen, den stickigen und stinkigen Provinzialismus“. Dies war der Start für eine Nebentätigkeit, die nun schon bald ein Vierteljahrhundert andauert.

Deshalb war ich sehr beruhigt, dass es 2009 nur mit der Wirtschaft, nicht aber mit der Kleinkunstbühne „Heppel und Ettlich“ zu Ende ging. Die durfte ganz im Gegenteil ins Herz Schwabings umziehen, an den Wedekindplatz. Dort gab ich im Mai die vorerst „Letzte Vorstellung“. Danach ging aber nicht das Licht aus, sondern die unbestreitbar überfällige Sanierung los. Und jetzt ist es soweit: Am 7. Oktober wieder mal ein Neustart, mit vertrauten und neuen Künstlern und natürlich der Heppel-Band. Inzwischen nennt sich diese Traditionsstätte „Theaterclub“.

Sagen wir es frei heraus: Das ist eine erschütternde Nachricht für alle Trauer-Redner, die seit über 100 Jahren den jetzt endgültigen Tod Schwabings beklagen. Natürlich gibt es auch schlechte Nachrichten aus diesem Viertel, wie überall auf der Welt. Aber in direkter Nachbarschaft des „Theaterclubs Heppel und Ettlich“ gibt es dort, wo früher die Gisela war, das Vereinsheim und das Lustspielhaus und um die Ecke die Lach- und Schießgesellschaft von Till Hofmann, die katholische Akademie und die Seidl-Villa, und, und, und – und beim Corso Leopold tanzt der Bär.

Lieber Henny, lieber Wolle, ihr seid jetzt auch eine dieser unkaputtbaren Schwabinger Institutionen, die als häufig Totgesagte länger leben als jene, die sie schon so oft beweint haben.

Foto: Lesung im neu eröffneten „Heppel und Ettlich“, Oktober 2016

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