Christian Ude

Münchner Bauwerke und Münchner Bausünden

Von am 21. Januar 2014

40 Jahre Stadtgestaltungskommission

Der Münchner als solcher interessiert sich wahnsinnig für Architektur. Er ist da unglaublich leidenschaftlich und von ungebremster Urteilsstärke. Allerdings erst, wenn das Bauwerk steht. Wenn das Gerüst abgebaut ist und die Fassade in ihrer Nacktheit betrachtet werden kann. Dann schlägt die Stunde des Münchners. Denn jetzt kann er granteln. Was hamm’s da wieder hing’stellt – und wer hat das bloß genehmigt? So ist die Stadt ja überhaupt nicht mehr schön.

So hat der Münchner übrigens schon geredet, als Ludwig I. die „größenwahnsinnige“ Prachtstraße mit seinem Namen bauen ließ, mit lauter Spekulationskästen auf beiden Seiten. Als Friedrich Bürklein sich in der Maximiliansstraße angeblich stilistisch verirrte oder Georg von Hauberrisser das Neue Rathaus mit allem „Mummenschanz“ errichtete, wo vorher kultivierte Bürgerhäuser gestanden hatten …

Halten wir fest: Die Münchner Architekturdebatte beginnt mit der Fertigstellung – und braucht dann nur noch wenige Jahrzehnte, um die anfangs geschmähten Bauwerke voller Lokalpatriotismus ans Herz zu drücken, weil sie so unverwechselbar münchnerisch sind wie zum Beispiel die Prachtstraßen von Klenze und Gärtner und die Gebäude von Bürklein und Hauberrisser.

Aber vor Baubeginn möchte der Münchner als solcher mit Architekturfragen nicht belästigt werden. Aufregen kann man sich später immer noch. So erzählte mir der frühere Stadtbaurat Prof. Uli Zech glaubwürdig, in den ersten beiden Jahrzehnten der Stadtgestaltungskommission sei mein Vater meistens der einzige Journalist und überhaupt der einzige Vertreter der viel gerühmten Öffentlichkeit gewesen, der es sich antat, den „öffentlichen“ Sitzungen tatsächlich beizuwohnen. Anschließend berichtete er darüber in der „Süddeutschen Zeitung“. Das hat sich in den letzten zwanzig Jahren, in denen ich den Vorsitz hatte, nicht gerade spektakulär geändert: Die SZ ist immer noch vertreten, ein paar Kollegen sind auch noch da, mehr als eine Handvoll aber nie – und dann kommen noch ein paar Bauherren, die vor einem Investment in München einmal sehen wollen, was das eigentlich ist, diese Stadtgestaltungskommission, und was sie zu sagen hat. Dabei interessiert nicht so sehr das Stilistische als vielmehr das Juristische.

Ja, was hat sie denn nun zu sagen? Stilistisch sehr viel, juristisch aber eher weniger. Genau genommen gar nichts. Aber das wäre auch wieder eine Fehleinschätzung. Was sie sagt, gilt nämlich als Votum der Fachwelt und wird schon deshalb vom Oberbürgermeister, von der Stadtbaurätin und ihrem Planungsreferat sehr ernst genommen. Die Empfehlungen fließen also in die Willensbildung der Planungsbehörden ein, und weil ein Bauherr, wenn er keine zinsfressende Zeit verlieren will, möglichst schnell grünes Licht bekommen möchte, misst er dem Votum der Fachwelt plötzlich auch großes Gewicht bei.

Dies ist die Macht der Stadtgestaltungskommission: Die Fachwelt verkörpern zu dürfen, deshalb von der Stadtpolitik und den Planungsbehörden ernst genommen zu werden und aus diesen Gründen notgedrungen auch von der Bauherrnschaft. Von einer „Geschmacksdiktatur“ reden allerdings nur Architekten, die es entweder noch nie zu einer herbeigesehnten Berufung in die Kommission gebracht haben oder aber mit einem Entwurf vor dem erlauchten Gremium krachend auf die Nase gefallen sind.
Ja, solche Fälle gab es. Den Daumen nach unten, wie römische Imperatoren in der Arena. Und hier (in der Arena) liegen die größten Verdienste der Kommission: Es ist unglaublich, was sie im Laufe der Jahre fachkundig zerpflückt und verworfen hat, weil es eine geschmackliche Verirrung gewesen wäre, eine öde Meterware in anspruchsvoller Umgebung oder ein Akt der Anmaßung, wo Bescheidenheit angesagt wäre, oder postmoderne Kulissenschieberei, weil sich der Bauherr nicht zum 20., geschweige denn zum 21. Jahrhundert bekennen wollte. Und so fort. Ich rege zum 50. Jubiläum der Stadtgestaltungskommission, also in 10 Jahren, eine Broschüre an, mit all den Bauten, die sie nicht etwa Realität werden ließ, sondern ganz im Gegenteil einer Überarbeitung – manchmal sogar durch andere Entwurfsverfasser – zuführte. Diese Broschüre wird der Kommission endlich Dankbarkeit und Liebe der Münchner Bevölkerung einbringen.

Die heutige Broschüre mit verwirklichten Projekten (wenn auch oft nach Überarbeitung) eher weniger.
Warum? Eben weil diese Projekte verwirklicht wurden. Also jetzt im Stadtgebiet herumstehen. Und da sind sie nun einmal einigen zu altbacken, anpasserisch, kompromisslerisch, halbherzig oder mutlos – anderen aber zu modern, dem Zeitgeist gehorchend, ohne Gespür für Münchens Originalität und Unverwechselbarkeit, um es noch brutaler auszudrücken: Sie könnten auch in Frankfurt oder Hamburg stehen.

Wirklich verehrt, bewundert, hymnisch gepriesen werden in München nur Bauten, die nicht verwirklicht werden, also nirgendwo herumstehen, niemanden enttäuschen und keines Menschen Stilgefühl verletzen. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist der vierte Münchner Konzertsaal, den die Bayerische Staatsregierung in ihrer unerschöpflichen Weisheit seit 10 Jahren nicht errichtet – weder im
Marstall, noch im Hof der Residenz, weder auf der Isar, noch im Deutschen Museum. Da preist die „Süddeutsche Zeitung“ bereits seit einem Jahrzehnt das musische Verständnis, den politischen Weitblick, die unbeirrbare Entschlossenheit und die imposante Tatkraft des Bauherrn – warum sollte er, nachdem er all dies Lob längst eingesammelt hat, tatsächlich zur Tat schreiten? Gefeiert werden in München nur Bauten, die es nicht gibt. Diesem Umstand verdanken auch das neue Löwen-Stadion, die Liberale Synagoge von Daniel Libeskind, das Islamische Zentrum, die 2. S-Bahn-Röhre und die 3. Startbahn ihr hohes Ansehen – zumindest im Feuilleton.

Zurück zu den Bauten, die tatsächlich gebaut werden, was ja eigentlich  auch zum Wesen eines Bauwerks gehört: Sie sind eben keine Privatsache, sondern prägen die Stadt, und zwar in solch entscheidendem Maße, dass auch die Verwaltung nicht allein darüber entscheiden sollte. Deshalb kommen für die Stadtgestaltung bedeutende Projekte in die Kommission, wo sie entweder ein öffentliches Forum erhalten oder einen Verriss ernten. Die Kommission berät den Stadtrat in Fragen der Baukunst und Stadtgestaltung – da aber die allermeisten Fälle ein „Geschäft der laufenden Verwaltung“ sind, wenden sich die Empfehlungen meist direkt an Oberbürgermeister, Stadtbaurätin und Lokalbaukommission. Wo die Verwaltung echte Ermessensspielräume hat, weil beispielsweise weitreichende Befreiungen gewährt werden sollen, können die Empfehlungen in die Ermessensentscheidung einfließen. Da ist der Bauherr dann wirklich gut beraten, die Empfehlung ernst zu nehmen.

Und welchen Geschmackssinn hat sie nun, die Kommission? Natürlich ist er Altmünchnern nicht altmünchnerisch genug. Internationalen Kapazitäten nicht international genug. Avantgardisten nicht avantgardistisch genug
und so fort. In Wahrheit ist es aber so, dass man die Kommission glücklicher Weise in keine Geschmacksecke stellen kann. Da gibt es neben dem engagierten Heimatpfleger noch viele andere, die ein kenntnisreiches Gespür für Stadtgeschichte und münchnerische Stadtgestalt haben – und viele Verfechter der Moderne, die keineswegs eine angeblich typisch münchnerische Rückständigkeit vertreten. Anregend ist das hohe Niveau der Debatte, ohne jede irgendwie parteiliche Festlegung, ohne Voreingenommenheit, durchaus geprägt von kollegialer Wertschätzung, aber auch ohne jede Selbstzensur, weil zum Beispiel ein Büro einen großen Namen hat oder zumindest aktuell „in“ ist.
Deshalb ist es wirklich wahr: Die Sitzungen der Stadtgestaltungskommission gehören zum Schönsten, was das Rathaus zu bieten hat. Man erfährt nicht nur, wie die Stadt ist und was sie ausmacht, sondern auch, wie sie werden soll oder unter keinen Umständen werden darf. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem noch Weichen gestellt werden können. Sicherlich oft im Detail. Aber viele Mosaiksteine ergeben auch ein großes Bild.

Sagen wir es endlich frei heraus: Dass München, jedenfalls nach Meinung aller Gäste, die eben auch andere Städte zum Vergleich heranziehen können, nach wie vor eine der schönsten Städte der Welt ist und diese Eigenschaft auch nicht in den letzten vier Jahrzehnten eingebüßt hat, ist auch ein Verdienst der Stadtgestaltungskommission, die Qualitätsmaßstäbe gesetzt, Verirrungen verhindert und mittelprächtiges verbessert hat; keineswegs unfehlbar – was mittlerweile selbst der Papst kaum noch für sich in Anspruch nimmt, aber durchaus erfolgreich, wenn man die Gesamtsumme sieht und auch bedenkt, was in den selben vier Jahrzehnten andernorts gebaut worden ist

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