Christian Ude

Verleihung des Ehrenbürgerrechts

Von am 15. September 2014

Rede von Altoberbürgermeister Christian Ude anlässlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechts am 15. September 2014 im Alten Rathaussaal

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Dieter Reiter,

wenn ich es noch so sagen darf: liebe Kolleginnen und Kollegen des Münchner Stadtrats,
hochverehrte Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürger, in deren Kreis ich nun aufgenommen wurde,
hochverehrte Festversammlung.

Das Ehrenbürgerrecht für einen Münchner Oberbürgermeister wirft vor allem eine Frage auf: Ist es wirklich ehrungswürdig, ein Glückspilz zu sein? Ich habe es jedenfalls immer als besonderes Glück empfunden, dieses Amt zu bekommen und über zwei Jahrzehnte lang ausüben zu dürfen. Dabei habe ich bei der Eröffnung eines Klassik-Open-Air-Konzertes am Odeonsplatz im Angesicht der Theatinerkirche auf der einen und der Residenz auf der anderen Seite, der Ludwigstraße und ganz hinten des Schwabinger Siegestors gesagt, in so einem Augenblick sei man schon seinem Herrgott dankbar, dass man in München zur Welt gekommen ist, „und nicht sonst irgendwo“. Spät, manche sagen: viel zu spät, habe ich als Städtetagspräsident den diplomatischen Schliff bekommen, bei solchen Vergleichen keine anderen Städtenamen zu nennen. Eigentümlicher Weise glauben ja Bürgermeister aller Städte,
in der schönsten Stadt der Welt das Sagen zu haben. Das ist keine Münchner Besonderheit. Das Besondere an München ist nur, dass es stimmt. In so einer Stadt leben zu dürfen und Verantwortung für ihre Geschicke übertragen zu bekommen, ist einfach ein Lebensglück, für das man nur dankbar sein kann. In meiner Antrittsrede auf den Tag genau vor 21 Jahren – habe ich meinen Nenn-Onkel Ernst Hoferichter zitiert, der sein München-Buch mit dem Titel „Stadt der Lebensfreude“ versah. Das Ziel, diese Lebensfreude zu bewahren, ist ja wohl schon erreicht worden.

Ja, ich liebe diese Stadt, intensiv und heftig. Das tat ich schon als Schulbub und tue es immer noch als Pensionist, der endlich wieder genug Zeit hat, die Vorzüge Münchens aus vollen Zügen zu genießen. Ich liebe die Natur, die unsere Millionenstadt nicht nur umgibt mit Wäldern und Seen, die vielmehr auch vor der Haustür präsent ist mit dem Luitpoldpark und dem Englischen Garten und in den anderen Quartieren mit Schlossparks und neuen Grünanlagen, die sogar die gesamte Stadt mit einer einzigartigen Flusslandschaft durchquert, die um Himmelswillen so natürlich wie möglich belassen werden sollte und nicht mit Repräsentationsbauten befrachtet oder mit kommerziellen Nutzungen strapaziert werden darf. Ich liebe das allgegenwärtige kulturelle Erbe dieser Stadt, das uns nicht nur in Kirchen, Palästen, Museen und Theatern gegenwärtig ist, sondern auch in bürgerlicher Baukunst verschiedener Stile und Generationen. Und ich liebe die Vielfalt dieser Stadt, die durch bäuerliche Dorfkerne genauso geprägt wird wie durch königliche Prachtstraßen und ambitionierte Projekte der Moderne, die in den letzten zwei Jahrzehnten tatsächlich eine „neue Gründerzeit“ erlebt hat.

Es ist, meine Damen und Herren, weder ein Zufall noch ein Irrtum, dass mindestens ein Drittel der Bundesbürger in München leben möchte. Wir alle, die wir dies tun, sind Privilegierte, auch wenn wir uns nicht immer so fühlen.

Eugen Roth hat dieses Privileg so beschrieben:

„Vom Ernst des Lebens halb verschont, ist der schon, der in München wohnt.“

Das stimmt für viele, aber nicht für alle. Die Flüchtlinge, die vor brutalem Terror zu uns fliehen, haben ganz gewiss nicht das Gefühl, in Bayern und der gleichnamigen Kaserne die Vorstufe des Paradieses erreicht zu haben. Da ist noch viel zu tun.

Wir müssen uns der Schattenseite dieser wunderbaren und großartigen Stadt immer bewusst sein. Da ist zum einen die Geschichte, in der nicht immer „leben und leben lassen“ die Devise war und die viel beschworene „liberalitas bavariae“ nicht immer die Richtschnur. München war auch eine Hochburg der Gegenreformation, das Zentrum der berüchtigten „Ordnungszelle Bayern“,  der Nährboden der Hitler-Bewegung, eine zeitweise deprimierende provinzielle Stadt. Aber es gab immer auch ein andererseits: Ein Herrscherhaus, das sich mehr für Protestanten, Juden und Griechisch-Orthodoxe einsetzte als dem verstockten Magistrat recht war. Männer wie Wilhelm Hoegner und Frauen wie Toni Pfülf, die schon vor der Machtergreifung vor Hitler warnten oder Studenten der Weißen Rose, die für den Widerstand ihr Leben ließen. Und immer wieder progressive Impulse, vom ersten abstrakten Bild der Kunstgeschichte bis zu den heiteren Spielen von 1972, die der Welt auch architektonisch ein neues, ein freundliches Deutschland-Bild vermittelten, ehe der Terrorismus von außen die Heiterkeit zerstörte. Diese historische Erfahrung,  dass es viel Licht und viel Schatten in ein und derselben Stadt geben kann, muss uns ein ständiger Ansporn sein, uns nicht auf die Helligkeit des leuchtenden Münchens zu verlassen, sondern – wie es Thomas Mann in seiner berühmten Rede über die Kunststadt getan hat – den kranken Fanatismen unserer Zeit entgegenzutreten. Ich bedanke mich ausdrücklich und persönlich bei allen 79 Stadtratsmitgliedern, die dies in den vergangenen Amtsperioden beim gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus getan haben und die mit der Unterstützung des Jüdischen Zentrums am St. Jakobsplatz dem Judentum eine neue Zukunft im Herzen der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung eröffnet haben. Es freut mich, dass wir im nächsten Jahr das NS-Dokumentationszentrum eröffnen werden und uns damit sichtbar und wahrnehmbar nicht nur zur Aufarbeitung finsterer Zeiten, sondern auch zu einer parteiübergreifenden und bürgerschaftlich unterstützten Sicherung von Demokratie, Rechtsstaat und Toleranz bekennen.

Der zweite Schatten, der das München-Bild trübt, ist die Kehrseite des wirtschaftlichen Erfolgs. Wer am Erfolg teil hat, wird diesen Schatten achselzuckend hinnehmen. Wer am Erfolg nicht teil hat, sondern nur im Schatten steht, leidet in München sogar mehr unter der Spaltung in Arm und Reich als in anderen Städten. Sprunghaft steigende Mieten fressen in München einen größeren Teil bescheidener Gehälter im öffentlichen Dienst oder durchschnittlicher Renten oder studentischer Einkünfte auf als irgendwo sonst. Da der Gesetzgeber allen Forderungen des Münchner Stadtrats, endlich auf die Mieten-Bremse zu treten, der Altbau-Spekulation einen Riegel vorzuschieben  und auch bei neuen Mietverträgen die zulässige Miethöhe zu begrenzen, nur mit 20-jähriger Verspätung nachgekommen ist, leiden viele schmerzhaft unter der zwischenzeitlich angewachsenen finanziellen Belastung. Eine schmerzhafte Erfahrung steht dabei dem Stadtrat ins Rathaus. Selbst wenn Sie mit aller Kraft und Mühe und mit Hunderten Millionen Euro in den nächsten Jahren
8.000 öffentlich geförderte Wohnungen fertigstellen, wird damit nur ein Zustand wiederhergestellt, der Anfang letzten Jahres schon bestanden hat. So kann die Politik sich selber wahre Sisyphus-Arbeiten auferlegen.

Meine Damen und Herren, Ehrungen haben immer den Nachteil, eine Person herauszustellen und alle anderen, die den Erfolg erst möglich gemacht haben, unerwähnt zu lassen. Das ist überall ungerecht, in der Politik aber im besonderen Maße, denn politische Arbeit baut immer auf den Grundlagen auf, die andere geschaffen haben, lebt von den Ideen zahlreicher Vordenker und der Unterstützung aller Mitstreiter, den Impulsen und dem Engagement der Verwaltung und vom politischen Diskurs, in dem man immer auch vom Gegenspieler lernt, selbst wenn dies gar nicht seine Motivation war. Politik ist Teamarbeit und Gemeinschaftsleistung – mit vielen, vielen Mitwirkenden. Es ist unmöglich, alle zu nennen, die es verdient hätten. Viele habe ich ja schon im Deutschen Theater erwähnt – Bürgermeister-Kollegen, die ReferentenRunde, den Mitarbeiterstab, die mitwirkenden Stadtratsmitglieder, die Belegschaft, die Geschäftsführungen und die Mitarbeiter der städtischen Gesellschaften. Ich sage nochmals: Danke.

Zwei Ausnahmen erlauben Sie mir bitte: Da ist zunächst meine Partei, der ich 1966 beitrat, beeindruckt von der Friedenspolitik Willy Brandts und der Kommunalpolitik Hans-Jochen Vogels, der sich freilich nach den ersten innerparteilichen Begegnungen oder sollte man lieber vom ersten Aufeinanderprallen sprechen – sicher nicht vorstellen konnte, dem besonders aufmüpfigen Jungsozialisten mit schwarzem Wuschelhaar dereinst als Altoberbürgermeister zu begegnen. Die SPD war mir seit diesem Beitritt – die Repräsentanten anderer Parteien mögen mir diesen Hinweis nachsehen – eine politische Heimat, ein Freundeskreis und die Chance, Politik zu gestalten. Fünfmal hat sie mich als Spitzenkandidat aufgestellt. Sie hat mir damit die Erfüllung eines Lebenstraums ermöglicht. Mit der letzten Kandidatur, haargenau vor einem Jahr, konnte ich mich dafür erkenntlich zeigen – und mit einem Stimmenzuwachs der SPD-Liste von 6,8 Prozent hier in München ist das Dankeschön ja auch ganz ordentlich ausgefallen.

Zweite Ausnahme: Wenn ich bedenke, wie meine Frau mich schon bei den beiden Staatsexamen und beim Aufbau einer Kanzlei, in fünf Wahlkämpfen und bei aller publizistischer und politischer Arbeit in einigen Jahrzehnten unterstützt, beraten und motiviert hat, in den letzten Jahren trotz eines schmerzhaften Rückenleidens, muss ich einfach feststellen, dass die heutige Ehrung auch ihr gebührt. Herzlichen Dank, Edith. Zusammen bringen wir es übrigens auf 36 Jahre Stadtratszugehörigkeit.

Und jetzt freue ich mich auf die Aufnahme in den Kreis der Münchner Ehrenbürger. Ihr besonderes Kennzeichen ist ja, dass sie alle auch nach dieser Ehrung für ihre Ziele eingetreten sind, dass sie dafür alle Register zogen und weiterhin ziehen, von der öffentlichen Mahnung bis zum Bürgerbegehren und dass sie unbeugsam sind in der Sache, deretwegen sie ein hohes Ansehen genießen.

Genau in einer Woche werden wir Blacky Fuchsberger zu Grabe tragen, der ein Wort Peter Ustinovs populär gemacht hat: „Alte Männer sind gefährlich, weil sie keine Angst mehr vor der Zukunft haben. Wir können sagen und denken, was wir wollen.“
In diesem Sinne herzlichen Dank für das Ehrenbürgerrecht und vor allem für die Einmütigkeit, mit der Sie diesen Beschluss gefasst haben.

Kolumne: Reden
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