Christian Ude

Auf eine friedliche Wiesn!

Von am 17. September 2016

Das Oktoberfest und seine Sicherheitsdebatten

Beitrag von Christian Ude in der „Abendzeitung“ vom 17. September 2016

Einen Sommer lang wurde Angst verbreitet und geschürt: durch schreckliche, unmenschliche Anschläge, aber auch durch eine spektakuläre Medienresonanz, durch aufgeregte Sicherheitsdebatten, durch verängstigte und verängstigende Absagen, durch Schreckensszenerien. Viele glauben, ein glückliches Wiesn-Zeitalter sei zu Ende, das größte Volksfest der Welt stehe vor einem Abgrund, nichts werde so sein wie früher, in der guten alten Zeit. Wer die Angst vor Anschlägen nicht teilt, fürchtet stattdessen die Sicherheitsmaßnahmen, die angeblich die gute Stimmung strangulieren oder eine schnelle Flucht (also doch?) blockieren. Erleben wir eine Zäsur, nach der nichts mehr sein wird wie vorher?

Was soll diese Panikmache? Vorsicht: Ja. Hysterie: Nein! Sucht nicht im Netz nach Gerüchten, sondern im eigenen Kopf nach Erinnerungen. Zurück in die 60er Jahre. Ich war damals Lokalredakteur. Während eines Sonntagsdiensts kam der Polizeibericht: „Ein weiterer  Wiesn-Toter“. Es war schon Abend, ich habe die Meldung „eingewechselt“, also an die Stelle einer anderen Nachricht gesetzt, damit wenigstens in der Stadtausgabe diese Tatsache nachzulesen ist. Am Montag gab’s dafür in der Redaktion kein Lob: Wegen einem Wiesn-Toten mehr oder weniger hätte es diesen Kostenaufwand nicht gebraucht! Tatsächlich wurden die Wiesn-Toten damals „durchgezählt“, die richtige Zahl am Schluss hätte die Chronistenpflicht auch erfüllt. So war das damals, in der „guten alten Zeit“, als die Freude noch „ungetrübt“ war. In den 90er Jahren machte ein alter Mann, der Stunden (!) nach einem Wiesn-Besuch am Stadtrand (!) einem langjährigen Herzleiden erlag, furchterregende Schlagzeilen: Ist die Wiesn noch sicher? So kann man jeden Wiesn-Bummel in eine Geistesbahnfahrt verwandeln.

Aber der Terrorismus? Überlastet und beschattet der jetzt unser Leben nicht in einer noch nie dagewesenen Weise? Können wir tatsächlich so schnell und so vollständig verdrängen, was 1972 geschah? Mit dem palästinensischen Mord-Anschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft hat der internationale Terrorismus unsere Stadt heimgesucht und  ihr die eigene Verletzlichkeit grausam vor Augen geführt. Ich kann mich nicht erinnern, dass dies die Stimmung im Herbst auf der Wiese getrübt hätte. Besser gesagt: Ich kann mich sehr wohl erinnern, dass dies nicht der Fall war.

Vielleicht, weil der Anschlag den Israelis gegolten hat, nur zufällig auf Münchner Grund? Aber 1980 erreichte der Terror die Wiesn und er galt den Wiesen-Besuchern, wollte gezielt in dieser Stadt Angst und Schrecken verbreiten. Als Gundolf Köhlers Bombe am 26. September 2980 am Haupteingang explodierte und 13 Menschen tötete und 211 verletzte, viele davon schwer und unheilbar, schien dies eine heftige politische Debatte auszulösen – einen Tag lang! Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz Josef Straße versuchte am Tatort und am folgenden Tag, die Schuld dem FDP-Innenminister Gerhard Baum von der FDP in die Schuhe zu schieben, weil dies gut zur Bundestagswahl wenige Tage später gepasst hätte. Der Terror kam aber nicht aus der Rote Armee Fraktion, sondern von einem Mitglied der rechtsextremen, in Bayern tätigen Wehrsportgruppe Hoffmann – und damit war der öffentliche Diskurs über den schwersten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte auf politischer Ebene beendet – er löste weder verschärfte Gesetze noch sichtbare Sicherheitsvorkehrungen aus. Nur einzelne Journalisten und Opferanwälte forderten weitere Ermittlungen, die 2014, unfassbare  34 Jahre später von der Bundesanwaltschaft auch tatsächlich aufgenommen wurden. So gelassen kann man mit Terror, der auf der Wiesn tatsächlich geschah, umgehen – wenn man sich von einer aufgeregten Debatte nichts verspricht. 2010, beim 30. Jahrestag, nahm mit Innenminister Joachim Herrmann erstmals (!) ein Mitglied der Staatsregierung am alljährlichen Trauerakt Teil.

Das Gefühl, tatsächlich selber künftig bedroht zu sein, kam erst am 11. September 2001 auf: Eine neue Dimension des internationalen Terrorismus, die deutlich machte, wie weit sein Arm reicht, wie barbarisch seine Zerstörungslust ist und wie sehr er es auf internationale Superlative abgesehen hat: Das World Trade Center, der mächtigste Verteidigungsministerium der Welt – vielleicht auch das größte Volksfest? Angst ging um. Ich bekam als OB hunderte Aufrufe, die Wiesen abzusagen, weil Saufgelage angesichts der noch nicht geborgenen Leichenberge pietätlos seien und ein weiterer Anschlag in der Logik des Vorgehens läge – und genauso viele Appelle, trotz aller Sorgen durchzuhalten, weil eine Absage im Interesse der Terroristen läge, die das öffentliche Leben lahmlegen, unser Lebensgefühl verletzen und den Schrecken weiterverbreiten wollen. Es war wohl die schwierigste Entscheidung meiner 21 Jahre im Amt. Einerseits: Kann man mit der Verantwortung leben, wenn doch etwas passiert, was ja keine Macht der Welt mit absoluter Sicherheit verhindern kann. Aber andererseits: Mit welchem Recht läßt man dann Fußballspiele und den U-Bahn-Verkehr zu, wo das selbe passieren könnte. Seit Nine Eleven ist uns die Verletzlichkeit der Städte, auch der bestgesicherten Gebäude der Welt wie beispielsweise dem Pentagon, schmerzlich bewusst. Aber gab es seitdem kein schönes Leben, keine gelungenen  Wiesn-Erlebnisse mehr?  Eben.

Schlimmer war es um das Sicherheitsgefühl der Verantwortlichen bei einer anderen Wiesn bestellt, als der stellvertretende Finanzchef von Al Qaida in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt  einsaß. Da war ein Rache-Anschlag oder Erpressungsversuch teuflisch nahegelegen. Nie hatte ich vorher oder nachher bei der Kutschenfahrt durch endlose Straßenschluchten beim Einzug der Wiesn-Wirte und erst recht beim Trachten- und Schützen-Umzug so intensiv wahrgenommen, von wie vielen Fenstern aus ein Anschlag hätte verübt werden können…

2009 hatten vage, aber ernst zu nehmende Drohungen im Netz nahegelegt, dass der neu formierte islamistische Terror in München zuschlagen könnte. Die Polizei schlug einen Sicherheitsring und versenkbare Poller vor, um Anschläge mit einem Lkw auf Menschenmassen zu verhindern. Was erhielt ich damals für Hohn und Spott und Beschwerden wegen der Vergeblichkeit dieser Maßnahme und vor allem wegen der Kosten! Seit Nizza 2016 wird sich keiner der Autoren mehr daran erinnern können.

Die Münchner Polizei hat weltweit die größten Erfahrungen mit einem riesigen Volksfest und mit der Sicherung einer Millionenstadt. Man sollte ihre Vorschläge aufgreifen, statt mit kontroversen Debatten in jeglicher Richtung weitere Angst zu schüren. Und noch was: Selbst nach Nine Eleven ist nichts geschehen. Aber die Zahl der Trittbrettfahrer, die Fehlalarm auslösen wollten, war gespenstisch. Und bei dem Amoklauf im Mosacher Einkaufs-Zentrum gab es nicht nur tolle „Open-Door-Angebote“ im Netz, sondern auch jede Menge Fehl-Alarm, der völlig unangebrachte Panik auslöste. Wer sachdienliche Hinweise hat und effektvoll ins Netz stellen kann, der kann auch stattdessen einfach 110 wählen – und damit sicherstellen, dass er Sicherheit und nicht Unsicherheit schafft!

2016 hat sich nicht die Welt verändert – sondern uns ist vieles bewusster geworden, was wir vorher erstaunlich erfolgreich verdrängt haben. Wer sein Leben im allgemeinen und die Wiesn im besonderen genießen will, kann und soll das tun – ohne jede absolute Sicherheit, die es noch nie gegeben hat. In diesem Sinne: Auf eine friedliche  Wiesn! Wir sehen uns!

Kolumne: Texte
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