Christian Ude

Dankrede zur Verleihung des Preises „Werterhalt und Weitergabe 2016“

Von am 22. Juli 2016

am 22. Juli 2016 im Senatssaal des bayerischen Landtags

Wer sich in herausragender Weise für Erbrecht interessiert, sehr geehrter Herr Professor Lang, lieber Florian Streibl, geschätzte Stifter und verehrte Festversammlung, der hat in aller Regel sehr viel zu vererben oder wartet mit großer Vorfreude darauf, eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages eine stattliche Erbschaft anzutreten. Die reichsten 10 Prozent der Bundesbürger, die nach den Untersuchungen des DIW mit 66 Prozent des Gesamtvermögens auskommen müssen, verfolgen dieses Thema mit brennender Sorge, während das untere Drittel der Bevölkerung, das gar nichts besitzt oder mehr Schulden als Vermögen hat, sich leichtfertig und unbeschwert über alle Streitfragen des Erbrechts hinwegsetzen kann. Das Leben kann so ungerecht sein: Die Reichen müssen in Deutschland, dem Land mit der größten Ungleichverteilung von Vermögen in der Eurozone, auch noch steuerpolitisch darum kämpfen, auch in Zukunft noch reicher zu werden, während die Armen ohne jedes eigene Zutun von Jahr zu Jahr zumindest immer zahl-reicher werden.

So ist es für uns alle – Preisträger und Auditorium – ein Glück, dass es heute nicht um das Thema Steuergerechtigkeit und Vermögensverteilung geht, sondern um das Thema „Nachhaltigkeit – Werterhalt und Weitergabe“ auch und gerade bei den Kommunen und ihren Gesellschaften. Da kommen wir uns sicher näher. Wobei es auch sonst Annäherungen zwischen Vertretern des öffentlichen und des privaten Sektors gibt. Wir sind uns sicher einig im Respekt vor Unternehmenserben, die Arbeitsplätze erhalten und vermehren, statt den Nachlass der Gründungsväter zu verprassen. Die ihren Betrieben zukunftsträchtige Perspektiven eröffnen, statt nur von der Vergangenheit zu zehren, bis sie vollends aufgebraucht ist. Die rechtzeitig auch schmerzhafte Reformschritte vornehmen, statt untätig zuzusehen, bis die Unwirtschaftlichkeit selbst das größte Erbe aufgefressen hat. Die mehr aufforsten, als sie schlagen lassen. Es ist ja kein Zufall, dass der Begriff der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft kommt. Dabei geht es nicht um Selbstkasteiung, sondern um Generationengerechtigkeit. Nicht um Entbehrungen, sondern um Wohlstandssicherung auf lange Sicht.

Deshalb reihe ich mich auch gerne in die Ahnengalerie der bisherigen Preisträger ein. Nur eine passt da nicht so recht hinein: Charlotte Knobloch. Sie hat nicht weitergegeben, was sie bei Amtsantritt erhalten hat, sie hat erst in ihrer Amtszeit die Werte geschaffen, die sie wird weitergeben dürfen: Jüdisches Leben, jüdische Zuversicht , jüdische Zukunft nach dem Holocaust, ausgerechnet in der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung, und das im Herzen der Stadt, eingefasst in Bauwerke, die im Stadtbild den Triumph über die Täter festhalten. Ich bin dankbar, liebe Charlotte, Dir auch bei dieser Ehrung folgen zu dürfen.

Das Gegenteil von Nachhaltigkeit, meine Damen und Herren, lässt sich am volkstümlichsten mit dem Liedtext beschreiben: „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“. Oma hat Vorsorge getroffen, weil das damals so üblich war, wollte noch, dass es den Kindern und Enkeln einmal besser geht, aber heute ist es üblich geworden, über die eigenen Verhältnisse zu leben, ganz egal, was wir den folgenden Generationen hinterlassen: gute Finanzen oder Schuldenberge, eine gesunde Umwelt oder Klimawandel, Naturkatastrophen und verstrahlte Landschaften, ausreichende natürliche Ressourcen oder nur verbrannte Erde eines unersättlichen Raubbaus an der Natur, Chancen für alle, ein gutes Leben zu führen, oder Privilegien für wenige und Elend für fast alle. In der Wirtschaft wird das Gegenteil von Nachhaltigkeit nicht mit Trunksucht gerechtfertigt, sondern mit viel marktradikaler Ideologie: Der Markt soll alles richten können, bekommt die früher päpstliche Unfehlbarkeit zugeschrieben, von der Politik wird Deregulierung, Privatisierung und Rückzug („Privat vor Staat“) gefordert, bis sie wieder einmal vom Genie der Märkte ruinierte Banken retten darf und für die dadurch steigende Staatsverschuldung der darüber entrüsteten Finanzwelt den Kopf hinhalten muss, die Analysten zwingen das Management, eben nicht mehr langfristig zu denken, sondern nur an den nächsten Quartalsbericht und seine Auswirkungen auf den Kurswert, den shareholder-Value und die nächsten Boni. Wenn dies auch Ihre Gedankenwelt sein sollte, steht Ihnen jetzt ein kleiner Kulturschock bevor.

Ist Kommunalpolitik nicht viel zu sehr klein-klein, um auf derart große Herausforderungen Antwort geben zu wollen? Ich denke: nein. Es gilt: think global, act local. Lassen Sie mich dies bitte an einigen Beispielen durchbuchstabieren.

Nachhaltigkeit in der kommunalen Finanzpolitik

Abgesehen von der Atomwirtschaft, auf die ich noch zu sprechen komme, hat sich keine Branche in den letzten marktradikalen Jahren mehr an den Prinzipien der Nachhaltigkeit versündigt als jenes Spekulationswesen, das sich in maßloser Selbstüberschätzung „Finanzindustrie“ nennt (als ob es irgendetwas produzieren würde außer irrwitzigen Profiten auf Kosten anderer und Vermögenszerstörungen in unvorstellbarem Ausmaß – Beziehungen zur Realwirtschaft wurden ja zwischenzeitlich weitgehend aufgelöst). Hier haben die Städte fast ausnahmslos die Chance genutzt, ein Kontrastprogramm zu liefern: Während private Banken und leider auch Staatsbanken mit ihrer Bankenkrise den Steuerzahler in vielen Ländern um Milliarden erleichterten und für weitere Milliarden bürgen ließen, um sofort wieder aberwitzige Boni auszuzahlen und weitere Erpressungsmanöver nach dem Motto „we are too big to fail“ vorzubereiten, haben die angeblich so rückständigen, verstaubten und provinziellen Sparkassen den Fels in der Brandung einer durchgeknallten Finanzwelt gegeben. Ich nenne die Zahlen der Münchner Sparkasse in meiner Amtszeit als Vorsitzender des Verwaltungsrates, also vor und nach der Krise: Bilanzsumme plus 86 Prozent, Spareinlagen plus 99 Prozent, Kredite an Kunden plus 109 Prozent, Jahresüberschuss plus 116 Prozent und Eigenkapital plus 191 Prozent. Im übrigen gibt es schon zu denken, und zwar über Wert und Unwert innovativer Finanzprodukte, dass der Chef der Münchner Sparkasse in diesen beiden Jahrzehnten, Harald Störtgen, den Erfolg seines Instituts tiefstapelnd mit den Worten erklärte: „Wir kaufen nur Papiere, die wir auch verstehen!“ Bescheidener und zugleich selbstbewusster kann man die Rolle der Sparkassen und auch der ähnlich gestrickten Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken im Vergleich zu den mit Millionen-Boni überschütteten Scharlatanen der „Finanzindustrie“ nicht beschreiben. Die nachhaltige Geschäftspolitik fast aller Sparkassen ist nicht nur gut für die Kunden und gut für die Kommunen als Eigentümer, dies ist, wie die Sparkassen jetzt endlich auch in ihrer Werbung betonen, „gut für Deutschland“. Ich habe bewusst mit der Bank der Stadt begonnen, weil mir die Erfahrung sagt, dass man „Geldige Leute“ am ehesten mit guten Finanzdaten überzeugen kann.

Bleiben wir also noch ein Weilchen bei den Finanzen. Dass öffentliche Überschuldung keine Wohltat fürs Volk ist, sondern über kurz oder lang zu Investitionsstau und Sozialabbau und schließlich zur Entmachtung der Parlamente und würdeloser Abhängigkeit von Gläubigern führt, ist spätestens durch die griechische Misere allgemein bewusst geworden. Das spricht ja nicht gegen Kreditaufnahmen, wenn sie in Zukunftsinvestitionen fließen und in besseren Zeiten wieder zurückgeführt werden, sehr wohl aber gegen jede Maßlosigkeit, die den Boden des Fasses auch noch entfernt. In diesem Sinn habe ich 21 Jahre lang versucht, mit der rotgrünen Stadtratsmehrheit nachhaltige Finanzpolitik zu machen: Wir haben 16,9 Milliarden Euro investiert, pro Bürger pro Einwohner fast doppelt so viel als die elf anderen größten Kommunen Deutschlands. Da war vor allem in den ersten mageren Jahren vieles kreditfinanziert. Aber über den gesamten Zeitraum betrachtet lag die städtische Verschuldung am Ende der Amtszeit deutlich über den Anfangswerten, sogar um mehr als 400 Millionen Euro.

Bei den städtischen Gesellschaften, allen voran das Flaggschiff Stadtwerke, aber auch die beiden Wohnungsgesellschaften gehören dazu, die Kliniken, München-Stift, Olympiapark und Tierpark, wurde das Eigenkapital fast vervierfacht, es stieg von 1,58 auf 6,16 Milliarden Euro, also um rund 4,7 Milliarden Euro. Das ist nicht nur Werterhalt und Weitergabe, sondern Vervielfachung des Wertes und Weitergabe an alle Bürger künftiger Generationen. Aber natürlich stehen öffentliche Unternehmen immer auf dem Prüfstand. So sagen manche, wenn Stadtwerke Gewinn machten, würden sie dem Bürger als Kunden zu viel abknöpfen. Irrtum! Als die Stadtwerke tatsächlich noch ein Monopol in der Energieversorgung hatten und dem Bürger fast beliebig in die Tasche greifen konnten, machten sie jedes Jahr Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. Erst im Wettbewerb mit den anderen Energie-Anbietern wandelten sie sich vom defizitären Eigenbetrieb zum gewinnstarken Vorzeige-Unternehmen – dank durchgreifenden Reformen, die zu höherer Wirtschaftlichkeit führten und Gewinne erzielen ließen. Ich will den Initiator dieses Erfolgskurses nicht verschweigen: SWM heisst für mich immer noch auch „Stark wegen Mühlhäuser“.

Die Energiewende vorweggenommen

An Münchens Straßen hängen derzeit Plakatwände, die deutlich machen, dass Münchens Stadtrat und die Stadtwerke die Energiewende schon längst vollzogen hatten, als auf Bundesebene noh über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken beraten und beschlossen wurde. Jetzt bereits, anno 2015, stellen die Stadtwerke bereits so viel Ökostrom, also Strom aus erneuerbaren Energien her, wie insgesamt in München von den Privathaushalten und von U-Bahn und Tram verbraucht werden. Und bis 2025 soll zusätzlich auch noch der gesamte Energiebedarf der Wirtschaftsunternehmen auf diese Weise befriedigt werden. Mit der Umsetzung dieses Programms begann das kommunale Energie-Unternehmen bereits 2008. Es ist eben nicht so, dass wir uns beim Ja zur Nachhaltigkeit alle miteinander völlig einig seien. Sehr geehrter Herr Laudator Florian Streibl, ich erinnere mich noch plastisch daran, wie wir beide auf einer sehr großen und eindrucksvollen Demonstration der Kernkraftgegner auf dem Altstadtring gesprochen haben, unmittelbar vor der Staatskanzlei, und einen Ausstieg aus der Atomkraft und eine Energiewende hin zu den Erneuerbaren gefordert haben. Damals hat man drinnen in der Staatskanzlei noch ganz anders gedacht und solche Forderungen als weltfremd abgetan. Und ich spreche nicht – auch wenn das Langzeitgedächtnis in meinem Alter mittlerweile wieder besser wird – von romantischen Jugenderinnerungen, sondern von einem Ereignis vor wenigen Jahren!

Allein das Beispiel Energiewende zeigt, dass städtische Unternehmen, die in kommunaler Hand bleiben, nicht nur ein wirtschaftlicher Vorteil für die Bürgerschaft sind, sondern auch „mehr Demokratie in der Kommune“ bedeuten, weil die Bürgerschaft über so zentrale Themen wie die gewünschte Energieversorgung tatsächlich Entscheidungen treffen und nicht nur Wünsche an die höheren Ebenen addressieren kann. Weitere Beispiele gibt es in Hülle und Fülle, etwa die optimale Wasserversorgung mit ihrem Trinkwasserschutz durch Öko-Bauernprojekte im Mangfalltal, den Ausbau der umweltschonenden Kraft-Wärme-Kopplung oder die Ausbauoffensive Glasfasernetz.

Zentralthema Wohnen

Gleiches gilt bei Münchens Thema 1, der Wohnungspolitik. Schon in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts habe ich als Journalist aus dem Münchner Rathaus berichtet, dass man sich im Stadtrat völlig einig sei, dass München als Stadt mit den höchsten Mieten Deutschlands – so alt ist dieses Phänomen! – besondere Instrumente brauche, um mit dem Anstieg der Wohnungsnachfrage und der Mieten fertig zu werden. Das bedeutete damals Ja zur Verlängerung der Wohnraumbewirtschaftung und Ja zum sozialen Wohnungsbau. Es bedeutet heute noch Schutz und Bau preiswerter Wohnungen. In den Wohnungsbeständen ihrer beiden städtischen Gesellschaften kann die Stadt traumhaft niedrige Mieten bieten – und außerdem kann sie den Bestand preiswerten Wohnraums aufstocken ohne die Gefahr, dass diese Wohnungen nach Ablauf der Bindungsfrist doch noch Spielball der Preistreiberei werden. Wohnungen mit dauerhaft niedrigen Mieten sind so unverzichtbar wie Menschen, die als Pflegekraft, Krankenschwester, in Serviceberufen, bei Polizei oder Feuerwehr nicht genug für eine Wohnung auf dem freien Markt verdienen. In meiner Amtszeit wurde die Zahl der preiswerten städtischen Wohnungen um mehr als 50 Prozent gesteigert, von rund 40 000 auf über 63 000. Sicher nicht genug, aber die Richtung stimmte. Der Freistaat Bayern hat allerdings allein 2013 über 8000 öffentliche Wohnungen in München verkauft – und sofort begegneten die einst staatlichen Mieter allen Unbillen des Wohnungsmarktes. Man darf gespannt sein, wieviele hundert Millionen Euro es die Stadt kosten wird, wenigstens einen Teil des staatlichen Ausverkaufs rückgängig zu machen. Und wie viele Jahre sie öffentlichen Wohnungsbau treiben muss, um wenigstens den Verlust der nicht rückholbaren Wohnungen wieder auszugleichen. Selten wurde der Unterschied zwischen nachhaltiger Politik – stetiger Ausbau des öffentlichen Wohnungsbestandes – und einer Verscherbeln von Zukunftschancen so schmerzhaft deutlich. Auch bei diesem Thema, Herr Streibl, waren sich alle Oppositionsfraktionen hier im bayerischen Landtag einig, bei Finanzminister Söder hat das aber kein Einlenken bewirkt.

Finanzen, Energie und Wohnen sowie natürlich Zukunftsinvestitionen und städtische Gesellschaften als Instrument zur Lösung künftiger Probleme waren jetzt nur fünf Beispiele nachhaltiger Kommunalpolitik. Wichtig ist mir, dass sich private und öffentliche Akteure bei allen Unterschieden der Interessenlagen nicht nur als Kontrahenten sehen – was sie bei Fragen der Erbschafts- und Vermögenssteuer oft sein werden -, sondern zumindest beim Ziel der Nachhaltigkeit auch auf Gemeinsamkeiten verständigen können. Schließlich brauchen die öffentlichen Hände auch künftig Unternehmen, die Arbeitsplätze sichern und Steuern zahlen, also mit Erfolg eine Weitergabe erlebten – und auch die reichsten Erben werden künftig darauf angewiesen sein, dass die Kitas und die Schulen und die Universitäten, die Theater, Konzertsäle und Museen, die Kliniken und alle öffentlichen Dienstleister gehobenen Ansprüchen genügen – ja, und auch darauf, dass sich Service-, Reinigung-, Sicherheit- und Erziehungspersonal das Leben in der Stadt leisten kann, was ohne städtischen Wohnungsbau nicht der Fall sein wird.

Ich danke den Initiatoren für den Preis – und Ihnen allen für die Aufmerksamkeit.

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