Christian Ude

Kronawitter,Vogel,Ude

Der „grüne Schorsch“ mit seinem roten Herz

Von am 30. April 2016

Er war schwach geworden in den letzten Monaten, aber er stand fest und geradlinig bis zum Ende seines Lebens für seine Ziele und die Werte, die ihm so viel bedeuteten: Soziale Gerechtigkeit, gesunde Umwelt, eine Stadt im Gleichgewicht – und dass die Menschlichkeit vor der Rendite kommen müsse. Seine Wurzeln waren ländlich und die Politik begann er als Landwirtschaftsexperte – das hatte ihm den Namen „Der grüne Schorsch“ eingetragen. Doch das hatte gar nichts mit der gleichnamigen Partei zu tun, die es damals noch gar nicht gab und die er anfangs auch nicht leiden konnte, sondern mit Herkunft und Fachgebiet – und zunehmend mit seinen ökologischen Einsichten und Anliegen: Er kämpfte dafür, Parks zu retten oder neu anzulegen, Grünanlagen frei zu halten, in riesigen Mengen Bäume zu pflanzen und die Lebensqualität der Stadt nicht dem Autoverkehr zu opfern.

Doch im Herzen war er rot. Kämpferisch und unbeirrbar. Wer nicht seiner Meinung war, konnte das als stur empfinden. Für alle, die ihm zustimmten, war er Vorkämpfer und Vorbild. Zuerst im Kampf gegen das Boden-Unrecht. Als ich 1970 die alte SPD-Zeitung „Münchner Post“ wieder gründete, steuerte er die erste Titelgeschichte bei: Er prangerte es an, dass ein bayerischer Großgrundbesitzer „Jeden Morgen um eine Million reicher“ wurde, ohne dafür auch nur einen Finger zu rühren. Einfach durch die Preissteigerungen am Rande einer wachsenden Großstadt. Das trieb ihn um – ebenso wie die Gegensätze der Vermögensentwicklung. Er konnte und wollte sich nicht damit abfinden, dass die Reichen automatisch immer reicher und die Armen nur zahlreicher wurden. Dass der Gesetzgeber dieser Fehlentwicklung entgegenwirken müsse, hat er in seinem gesamten politischen Leben und auch noch im Ruhestand gefordert. So wurde er sogar bundesweit als Anwalt der kleinen Leute wahrgenommen – eine Rolle, um die seine Partei sich heute fast verzweifelt bemüht.

Trotz dieser ausgeprägt sozialdemokratischen Einstellung hat die Münchner SPD ihn nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen – in den Jahren der schrecklichen Flügelkämpfe galt die Gruppenzugehörigkeit einfach mehr als das inhaltliche Profil, und so haben die Jüngeren (jaja, ich war auch einer davon) es ihm nicht leicht gemacht. Umso beliebter war er bei den Wählerinnen und Wählern, die spürten: Das ist einer von uns, und er tritt für unsere Belange ein.

Seine Widersacher nannten ihn gerne „wirtschaftsfeindlich“, aber das war Unfug: Er wusste um die Grenzen des Wachstums, wollte nach den dynamischen Olympia-Jahren erst einmal eine Phase der Konsolidierung, hatte erkannt, dass eine wachsende Rendite für wenige keineswegs mehr Lebensqualität für alle bedeutet. Immerhin entstanden in seiner Amtszeit 127000 Wohnungen und die Weichen für die Verlagerung der Messe, die damals noch zu zwei Dritteln städtisch war, hat er gestellt, wer denn sonst?

Immer wieder hat er mich an den 2. 2. 1982 erinnert. An diesem Tag besuchte er mich in meiner Kanzlei und meinte, ich müsse unbedingt sein Nachfolger werden, dann würde es auch Sinn machen, das verlorene OB-Amt (1978 war Erich Kiel von der CSU gewählt worden) zurück zu erobern. Ich sagte ab, und er meinte nur: „Na gut, dann eben später“. Das war elf Jahre, bevor ich tatsächlich sein Nachfolger wurde. Er hatte dafür mit massivem Einsatz den Weg geebnet. Er konnte sich nicht nur in verfahrenen Situationen mit größtem Gespür bauernschau verhalten, er war auch ein langfristig denkender strategischer Kopf, und immer ging es ihm dabei um die Durchsetzung sozialdemokratischer Politik, notfalls gegen die eigene Partei.

Er erschien aber auch 2004 in meinem Büro. Im Amtszimmer, das ich von ihm „geerbt“ hatte. Die Hochhäuser im Münchner Norden gefielen ihm gar nicht, er empfand sie als Fremdkörper, und dass der Münchner Stadtrat sie fast einstimmig beschlossen hatte, konnte ihn nicht beschwichtigen. Er werde, sagte er, ein Bürgerbegehren einleiten. Mit wem? Ein Dutzend Gleichgesinnter habe er schon, meinte er. Und gewann die Kontroverse. Das persönliche Verhältnis hat trotz manchem Schlagabtausch darunter nicht gelitten. Wie er es im Amtszimmer angekündigt hatte.

Das letzte Mal sah ich ihn – wie viele Wegbegleiter – bei der Feier „70 Jahre Wiedergründung der Münchner SPD“. Allen war bewusst, was wir ihm zu verdanken haben – nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern wir, die wir in München leben und diese Stadt lieben. Er hat sich um München verdient gemacht, hat erfolgreich darum gekämpft, dass diese Stadt im Kern leben- und liebenswert blieb und heute noch ist, auch wenn das Rathaus nicht jede Fehlentwicklung abwenden kann. Danke, Schorsch, Du hast das großartig gemacht!

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